Interview
Dr.-Ing. Philipp Rosendahl
Postdoctoral researcher, Department of Civil and Environmental Engineering Sciences at Technische Universität Darmstadt
Wie schätzen Sie die Potentiale des additiven Glasdrucks ein?
"Die additive Fertigung von Glasbauteilen hat immenses Potenzial. Aufgrund seiner außergewöhnlichen Sprödigkeit bei Raumtemperatur ist Glas denkbar schlecht geeignet für subtraktive Fertigungsverfahren, die zu Mikrorissbildung führen. Auch Kaltumformung ist nur bedingt möglich und Heißumformung – insbesondere bei großen Bauteilen – aufwendig. Die Entwicklung neuer Fertigungsmethoden drängt sich daher geradezu auf.
Anwendungsmöglichkeiten für additive Glasfertigung sind nahezu unbegrenzt. Es kann als Glasschweißen als Fügeverfahren eingesetzt werden; Flachglas kann nach dem Vorbild von Haut-Stringer-Verbindungen im Flugzeugbau durch den Aufdruck von Verrippungen strukturell ertüchtigt und versteift werden; vollständig abgedichtete und transparente Fassaden sind denkbar; und das Verfahren ermöglicht vollständige Freiheit bei der Formgebung."
Was ist zur Realisierung der Vision erforderlich?
"Zu entwickeln sind nicht nur verschiedene additive Herstellverfahren für Glas, sondern insbesondere auch Technologien, die die Verbindung herkömmlich hergestellter Gläser mit additivem Auftrag ermöglichen. Vorstellbar sind dabei entweder laserbasiertes, brennerbasiertes oder induktives Aufschmelzen von Glaspulver, stab- oder drahtförmig zugeführter Glasmasse oder von Glasbruch. Letzteres ist insbesondere unter Recyclingaspekten interessant. Die Technologieentwicklung umfasst unter anderem Heiz- und Kühlkonzepte, Zufuhrkonzepte, thermische entkoppelte Achssysteme und eine präzise Steuerung des Materialauftrags."
Welchen Mehrwert könnte die additive Fertigung von Glas speziell Ihrem Unternehmen bieten?
"Am Institut für Statik und Konstruktion an der Technischen Universität Darmstadt arbeiten wir an der Schnittstelle zwischen Ingenieurwesen und Architektur. Glas-3D-Druck eröffnet dabei ungeahnte gestalterische Möglichkeiten für Architekten, die aufgrund ihrer Materialreinheit für Ingenieur:innen beherrschbar bleiben. Die Technologie ermöglicht damit sowohl gestalterische als auch rechnerisch-mathematische Ästhetik."
Welche Entwicklungen erwarten Sie in diesem Jahrzehnt in der Glasindustrie/im Glasbau?
"Insbesondere im Bausektor ist zu erwarten ist, dass Glasprodukte in der Gebäudehülle Anpassungen an die Bedürfnisse von Nutzern ermöglichen. Durch Fenster, die individuelle Verschattungsgrade oder Transparenz ermöglichen, lässt sich ein personalisiertes Raumgefühl herstellen. Zudem spielt Energieeffizienz eine übergeordnete Rolle. Isolierglasprodukte – beispielsweise mit additive gefertigten Randverbunden – werden an Popularität gewinnen."
Welche Eigenschaften der additiven Fertigung sind insbesondere bei Glasprodukten vorteilhaft?
"Da Glas bei Raumtemperatur außergewöhnlich spröde ist, ist es für subtraktive Fertigungsverfahren denkbar schlecht geeignet, weil diese zu Mikrorissbildung führen. Auch Kalt- und Heißumformung sind nur bedingt möglich. Hier haben additive Fertigungsverfahren immense Vorteile, weil sie die Grundstruktur nicht schwächen, sondern im Gegenteil verstärken können. Zudem bietet Glas-3D-Druck die Möglichkeit, materialreine stoffschlüssige Fügungen herzustellen. Das sind Verbindungen zwischen Glasprodukten, die ohne weitere Werkstoffe wie Metalle oder Klebstoffe auskommen."
Welche Vorteile sehen Sie bei der Verwendung von Glas im Vergleich zu anderen Materialien?
"Glas gewinnt insbesondere durch seine besondere Ästhetik. Kaum ein anderer Werkstoff ist in der Lage, eine ähnliche Emotionalität zu verkörpern. Aus konstruktiver Perspektive hat Glas ausgesprochen gute Eigenschaften hinsichtlich seiner Dauerhaftigkeit und ist nahezu vollständig rezyklierfähig."